(Umzugs-)Container nach schwerer See

(Umzugs-)Container nach schwerer See
Quelle: Internet. Der Blog hat keinen Bezug zum Schiffsnamen oder zu dessen Ladung

Sonntag, 14. März 2010

Joker & Jade

Von Kaiserslautern sind es noch siebzig Kilometer bis Saarbrücken. Jetzt fahre ich nur noch in die Stadt, in der ich ein paar Jahre gelebt habe, wenn ich Kunden besuche: selten. So weiß ich nicht, was jetzt aus der chinesischen Familie geworden ist, die damals in einer Wohnung in der Bleichstraße lebte. Die Eltern betrieben ein chinesisches Restaurant, und als es lief, holten sie ihre beiden Kinder aus China zu sich, die bis dahin bei den Großeltern aufgewachsen waren. Plötzlich saßen sie im Laden des freundlichen sefardischen Teppichhändlers im Erdgeschoß des Hauses, sprachlos und charmant.

Danach sah ich manchmal den kleinen Jungen, der auf einem Roller einsame Runden auf der Straße drehte. Das ältere Mädchen, das etwas Englisch konnte, mußte den Haushalt machen. Bald waren beide vormittags in der Schule. Vergeblich versuchte ich, die Eltern zu überreden, den Kindern einen Leihausweis für die Stadtbücherei zu besorgen.

Das Restaurant schien nicht schlecht zu laufen, trotzdem war es irgendwann geschlossen. Beim Teppichhändler saßen bald der Mann, bald die Frau, um sich übereinander zu beklagen: der Mann hatte die Einnahmen verspielt, die Frau, schön und energisch, hatte wohl versucht, sich auf eigene Rechnung zu prostituieren. Jedenfalls sah man sie plakativ zurechtgemacht im Viertel auf der Straße herumstehen.

Später ein Anruf aus dem Laden: was mit den Kindern jetzt geschehen solle? Sie waren alleine in der Wohnung, verängstigt und überfordert. Der Mann hatte seine Frau zusammengestochen, als er sie mit ihrem Liebhaber erwischte, und saß in Untersuchungshaft, die Frau lag im Krankenhaus. Die Kinder hatten die Behörden ohne weiteres Bedenken und Nachsehen dem Teppichhändler anvertraut. Aber das wurde ihm dann doch zuviel. Mit Hilfe des Jugendamtes wurden die beiden in einem Kinderheim untergebracht. Tags darauf rief mich ihr kurzzeitige Pate, außer sich vor Wut und Trauer, an und fürchtete das Schlimmste, Zurichtung, Fertigmachen! Sie waren aber gut in einer Wohngruppe aufgehoben. Ich besucht sie einige Male und schenkte dem Mädchen mein altes Notebook mit einem Programm zur Generierung chinesischer Schriftzeichen.

Als ich, inzwischen fortgezogen,  vier Jahre später zufällig den Teppichladen aufsuchte, wollte ich wissen, wie die Familiengeschichte weitergegangen war. Die Frau war zu Verwandten in die Niederlande gezogen und hatte die Kinder im Heim zurückgelassen. Der Mann war gerade frei gekommen und wohnte wieder in der Futterstraße. Noch im Gefängnis hatte er über die chinesische Handelszeitung, deren Lektüre ihm nach einigem Bedenken seitens der Anstaltslitung gestattet worden war, neue geschäftliche Kontakte geknüpft und war dabei, einen Laden zu eröffnen.

Jetzt, als ihn ihn fragen konnten,wollte ich doch wissen: Wie er in China zum Geschäftsmann geworden sei? Warum er überhaupt nach Deutschland gekommen sei und dort bleiben wolle, nach dem. was geschehen sei? In seiner Heimatstadt habe er einen Kleinhandel mit Metallwaren aufgebaut, als dies Mitte der achtziger Jahre möglich geworden sein. Die Geschäfte seien gut gelaufen. Da fingen städtische Beamte an, ihm Geld abzuverlangen. Gegenwehr sei nicht möglich gewesen: Polizei, Gerichte, Öffentlichkeit habe man nicht anrufen können, man habe ihn verhaften wollen, er sei entwischt und mit Hilfe von Verwandten nach Deutschland gelangt. Hier habe er die Strafe akzeptiert, bereue aber nicht, was er getan habe. Jetzt sei er zuvesichtlich, was den Neuanfang betreffe, zumal er finanzielle Unterstützung für die Existenzgründung erhielte. Er wollte die inzwischen herangewachsenen Kinder zu sich nehmen.

Das Mädchen wollte nicht: er sei nicht ihr Vater, und sicher auf der Suche nach einer Frau. Sie habe genug für diese Familie getan. Wer denn ihre eigene Familie sei? Ihre Eltern hätten seinerzeit beschlossen, daß sie in Europa bessere Chancen habe. Sie sei mit gefälschtem Paß, vier Jahre jünger gemacht, der anderen Familie gegen gutes Geld zum Mitnehmen untergeschoben worden. Über das Internet hat sie jetzt Kontakt zu ihrer eigene Familie und ihren alten Freundinnen. Sie will bis zum Abitur im Heim bleiben, weiterhin vier Jahre unter ihrem Alter in eine Nymphenhaftigkeit gesteckt, die sich anfühlt wie zu kleine Schuhe. Aber dann kann sie studieren. Ihre Identität kann sie aber unter der Gefahr, abgeschoben zu werden, nicht erneut wechseln.

Wenn ich in der Zeitung vom Aufstieg Chinas lese und vom Thema Menschenrechte versus Wirtschaftsmacht, muß ich an diese Familie denken.