(Umzugs-)Container nach schwerer See

(Umzugs-)Container nach schwerer See
Quelle: Internet. Der Blog hat keinen Bezug zum Schiffsnamen oder zu dessen Ladung

Samstag, 24. April 2010

Buddha an der Quelle

Wie in jeder Stadt mit Einzelhandel für geschmackvolles Wohnen schmücken auch hier Buddhafiguren Schaufenster, Kaffee-Bars und Friseursalons, billig geformt, kopiert & importiert aus südasiatischen Schwellenländern. Auch in Einrichtungszeitschriften werden sie als Deko-Elemente propagiert. Am ehesten kann man das als Indiz dafür nehmen, dass die Indien-Begeisterung der siebziger Jahre nicht allein als Esoterik im Juste Milieu angekommen ist, sondern sich dort ihr Denkmal zwischen den anderen Familiendenkmälern gesichert hat: Nippes-Erbstücken, Fotos, Feng Shui Accessoires, Antikem undsoweiter.


An zwei Orten Wiesbadens schien sich ein differenzierterer Zugang zum buddhistischen Figurenkanon zu manifestieren. Ein Geschäft in der Taunusstraße bot Buddhas an, die in Südasien aus ihrer sakralen Funktion entlassen worden waren. Gut präsentiert, hatten sie ihre sakrale Aura bei sich behalten, selbst wenn sie teilweise zurechtgesägt und auf Podeste montiert waren, um hiesigen Dekovorstellungen entgegen zu kommen. Gerade haben wir die Buddhas zusammen mit dem gesamten Warenbestand eingelagert: die Finanzkrise führte zu Abstrichen bei Privat- und Geschäfts-Budgets, und das betraf zuerst den Zierrat. Die Aura war nicht stark genug.


Was noch steht: ein lebensgroßer Buddha aus Marmor unter einem Baum am Rande des Kranzplatzes, schräg gegenüber der Staatskanzlei. Stets mit frischen Blumen geschmückt, schien er tatsächlich ein zusammen mit Gläubigen eingewandertes Heiligtum zu sein. Trotz seines prominenten Standorts am römischen Quellort der Stadtgeschichte war er aber in Stadtführern nicht erwähnt, im Stadtarchiv nicht bekannt. Aber die Bedienung in der Bar gegenüber wußte bescheid: sei vom Kneipenbesitzer vor zwei Jahren da plaziert und werde geschmückt, um den Biergarten zu verschönern. 


Buddha selber lächelt über diese Version. Ergebnis unendlicher Wiederholung einer Form,ist er doch als Einzelstück aus Marmor gemeißelt und damit mühsame Annäherung an ein perfektes Vorbild: seine Aura hält tatsächlich unabsichtlich diese Stadtecke in Atem. Damit läßt er sich als Zeichen einer möglichen neuen Spiritualität im Globalisierungsprozeß, jenseits kanonisierten Glaubens und institutionalisierter Religiosität, deuten. Einmal werde ich dort Blumen ablegen. Wenn ich selber einen Garten habe. Inzwischen habe ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Lust, ein  Buch zu lesen: Robert Pirsigs "Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten", ein Kultbuch der siebziger Jahre. Mal sehen, ob diese Untersuchung von Qualität als Maßstab menschlichen Denkens und Handelns noch trägt.

Montag, 19. April 2010

Formwille

Wenn Kunden mich zum wiederholten Mal in Anspruch nehmen, freue ich mich besonders, das Werben um Vertrauen wird belohnt. Dieses Mal verlud ich Neumöbel, die ein Kunde in die USA mitnehmen wollte, nachdem wir seine Haushaltsgegenstände bereits im Container nach Arizona verschifft hatten: eine eichene Schrankwand und ein sogenanntes Schlittenbett aus Mahagoni. Googelnd erfuhr ich, daß es sich um eine in den Vereinigten Staaten aus dem Empire-Stil heraus entwickelte Bettform mit gebogenen Kopf- und Fußteilen handelte, manchmal ergänzt um seitliche Gitter. Der Name verweist auf die Ähnlichkeit solcher Betten mit Schlitten. Solche Bettmöbel sind in den USA spätestens seit Anfang des letzten Jahrhunderts populär und entsprechend in der Armeekolonie zwischen Kaiserslautern und Ramstein verbreitet. Dieses Bett nun hatte der Kunde von einer belgischen Firma erstanden, die es in Vietnam hatte herstellen lassen. Ich wagte nicht zu fragen, ob sich derartige Betten nicht vielleicht auch günstig in seiner Heimat kaufen ließen? Die Verfrachtung machte es jedenfalls um die Hälfte teurer.

Statt dessen fragte ich nach seinen Erfahrungen in Deutschland. Er war allerdings immer nur zu Besuch bei seiner Frau gewesen, einer Zivilangestellten einer Schule für Kinder von Armeeangehörigen, gearbeitet hatte er im Irak. Was ihm aufgefallen war: Wahlkampfpräsenz der Linkspartei! Käme es hier wieder zum Sozialismus? Ich versuchte vorsichtig, ihm zu erklären, daß Linke in Provinzstädten manchmal aus Mangel an Horizont abgehalfterten Idealen hinterherliefen und daß es in Europa erkennbar große Unterschiede zwischen sozialstaatlichen Errungenschaften und kommunistischen Regimes gebe - er hörte gar nicht zu. Die Einführung einer Krankenversicherung bedeutete für ihn die präsidiale Durchsetzung des Sozialismus in den USA.

Wie war dann in seinen Augen die US Army aufgestellt? Deren Angehörige leben in einem komplett geschlossenen Mikrokosmos, Kämpfer mit begrenztem Ausgang, ohne Anbindung an ihr reales Umfeld, mit ihren Angehörigen komplett mit Konsumgütern und Sozialdiensten aller Art versorgt, mit Schulen und Studienangeboten: - kommt diese Verfaßtheit der kommunistischen Utopie in Lenins Version nicht ziemlich nahe? Als Zivilist mußte ihn dieser historische Einwurf nicht scheren - er wurde nur sehr gut bezahlt dafür, daß er im jeweiligen Einsatzgebiet der Armee seinen Job machte.

Zu dieser Einstellung paßte sein Einrichtungsgeschmack ganz genau: den Globus in Anspruch nehmen für die Realisierung eines Möbels mit falschem Traditionsbezug, gestützt auf ein weltumspannendes Authentizitätsmarketing, das einer Hauseinrichtung in Kansas zuarbeitet. Da wird es dann bestimmt einfach sehr gemütlich. Aber um welchen Preis?

Sonntag, 18. April 2010

SMS Frühling

Mein Praktikant nahm sich Mittwoch Nachmittag seine Zigarettenpause und kam nicht wieder. Der erste Tag nach seinen Osterferien hatte gut begonnen; wir hatten eine Umzugsbesichtigung gemacht, die ein großer Auftrag werden kann — jetzt mußten wir die Anfrage bearbeiten. Aber er war nicht mehr da. Eine zweite und dritte Besichtigung mußte ich alleine erledigen. Danach erst fand ich seine SMS auf meinem Handy: " Es tut mir soo leid, ich hab in der mittagspause so ein schönes nettes mädel getroffen.da hab ich die arbeit vergessen." Telefonisch blieb er unerreichbar, sein Haustürschlüssel lag anderntags noch auf dem Schreibtisch, er selber schickte eine zweite SMS: "Melde mich für heute krank". Am Freitag hatte ich in Frankfurt zu tun und war nicht im Büro, er holte seinen Schlüssel ab.

Also, was soll ich jetzt davon halten? Wildheit der Jugend? wohl eher Midlife-Krise: der Mann ist Ende dreißig und unternimmt gerade seinen vierten Anlauf in ein Berufsleben. Ich werde mir wohl einen anderen Praktikanten suchen.

Oder bin ich am Ende schuld? Die Arbeit hier ist eben Arbeit, ziemlich unspektakulär, nicht sehr profitabel.   Viel kann er nicht machen, weil er keine Lust hat, sich das Werkzeug zu besorgen: Englischkenntnisse, Umgang mit Büro- und Kalkulationssoftware. Vielleicht lag es aber auch an etwas ganz anderem: Ich hatte für mittags einen Salat aus Käse und Sellerie improvisiert — und erinnerte mich plötzlich, daß nach dem Krieg unter Hausfrauen Sellerie als Hausmittel zur Inspiration ehelicher Galanterie galt ... Ich schwöre, ich selber habe nichts gemerkt!

Dienstag, 13. April 2010

Eine Personalität

Um Kartons abzuliefern, hatte mich ein Kunde in die Tiefgarage des Condominiums einfahren lassen, aus dessen 2. Stock er ausziehen wollte. Als ich herausfahren wollte, stellte ich fest, daß ein Rollgitter die Ausfahrt blockierte, zu dessen Öffnung  ein Schlüssel notwendig war.

Gerade, als ich den Kunden anrufen wollte, kam ein älteres Paar aus dem Appartmentkomplex in die Garage. Ich erklärte, warum ich in der Garage stand, und bat, mir das Gatter zu öffnen. Der Mann reagierte aufgebracht: wer mich hineingelassen habe? Der solle mich auch wieder heraus lassen. Ich signalisierte Verständnis für sein Sicherheitsbedenken und nannte nochmals den Namen des Kunden als Bewohner. Aber die Weigerung des Mannes gründete nicht auf der Intrusion ins Haus, sondern auf einem Angriff auf seine Würde: er fühlte sich durch meine Bitte beleidigt, quasi zum Domestiken degradiert! Er sei eine Personalität! Dies festgestellt, öffnete er dann doch das Tor.

Sein Ausfall signalisierte eine gewisse sprachliche Unsicherheit, die Maquillage der Dame bestärkte meine Vermutung, daß es sich um einen Perser handeln müsse, einen, der schon lange hier lebte und sich das Ambiente leisten konnte.
War ihm entgangen, daß Hilfsbereitschaft hierzulande kein Statusverlust bedeutete, sondern Verständigung über ein Gemeinwesen? Oder war eben diese Auffassung Ausfluß meiner Naivität? Ich entschuldigte mich höflichkeitshalber, allerdings ohne Bezug auf irgend etwas näher Bestimmtes, und er bestand dann noch darauf, dass ich mich in der Tat entschuldigen müsse, während ich hinausfuhr.

Und plötzlich an Herodot dachte.  Und an einem Haufen ziemlich zerstrittener Griechenfürsten und ihrer bunten Haufen, die 480 vor Christus in einer kritischen Situation einander beistanden und die Invasion der Streitmacht des persischen Großkönigs, einer Streitmacht aus versklavten Untertanen, durch List und Mut vor Salamis zum Scheitern brachten: die Geburt Europas, die Entdeckung der Macht von Demokratie.

Hätte ich mein Kurzschwert zücken sollen? Oder wenigstens meinen akademischen Titel? Ich hätte mich natürlich zuerst fragen müssen, wie ein solcher Griechenfürst mit kartonaustragenden Weibern verfahren wäre. Ich dachte stattdessen an meine Großmutter, die aus einer Familie mit Hofrang stammte: jemand, der seine Bedeutsamkeit ohne Grund herausstreicht, unterstreicht damit seine Unwichtigkeit. Etikette und Sinn für Verhältnimäßigkeit sind, was meine Großmutter so allerdings nie unterschrieben hätte, eben Bedingung für das Funktionieren von Demokratie. Bunte Haufen sind es aber auch. Hätte ich einen der Packer dabei gehabt, einen aus der Gegend, wo seinerzeit die Perser gehaust htten, hätten wir ein bißchen Freiheitskrieg inszenieren können. Auch das hätte mir gefallen.

Erheitert durch diese luftigen Denkfäden übersah ich, fahrend, beinahe zwei junge Mädchen, die eben den Zebrastreifen überqueren wollten, der die Straßenseite mit den Türkenläden mit der Innenstadt verbindet: in der schon üblichen Kopftuchtracht die eine, die andere von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, Hände in Handschuhen, das Gesicht komplett von schwarzer Gaze verhüllt.

Ein P.S.: Vor ein paar Tagen sah ich die Personalität in der Fußgängerzone spazieren, in einem tadellosen grauen Mantel und mit einem blechernen Abzeichen über der Brust, welches einem Orden glich. Chapeau!

Sonntag, 28. März 2010

Treiben und Eintreiben

Aus Saarbrücken hatte ich mir ein Buch mitgebracht: "Ein Junge mit zwei leeren Flaschen", das ich heute zuende lesen konnte, die Lebensgeschichte des Bauunternehmers Francesco Sanzo, der als jugendlicher Schulabbrecher aus Kalabrien ins Saarland gekommen war und sich dort eine geschäftliche Existenz aufgebaut hatte. Eine Geschichte, die mich sehr beeindruckt, aufgebaut anhand von Schlüsselszenen, die den Erfolg als Resultat von Durchsetzungsvermögen schildern: zuerst im Dorf, dann als Halbstarker und Gastarbeiter. Sanzo überwindet Widerstände, weil er deren Kern erfaßt und Situationen und Personen richtig einschätzen kann und weil er sich Unterstützung zu verschaffen weiß. Gescheitheit und mentale Präsenz verbindet er dabei mit körperlicher: durch Karatetraining kann er sich in Attacken gegen stärkere Angreifer durchsetzen. Diese physische Durchsetzungsfähigkeit ist oft gefordert, nicht zuletzt deshalb, weil er als mittelloser Migrant in einer Szene unterwegs ist, in der Kleinkriminalität und Beschiß zum Alltag gehören.

Die Auseinandersetzung damit, inklusive der Frage der eigenen Integrität und Verantwortung, stellt sich als zentrale Qualifikation beim Aufbau seiner Firma dar: ständig muß er sich Betrügereien gewärtig sein, die sein Geschäft bedrohen können: Kunden zahlen nicht, Rechnungen sind überhöht, Zeugen bestochen, Beamte korrupt. Dabei stehen Beschiß und Lauterkeit quer zum gesellschaftlichen Status; auf den Habitus ist gerade kein Verlaß.

Ich lese seine Erfahrungen als Beschreibung dessen, was mir widerfahren ist und als Einführung in das, was noch kommen wird. Ich lerne, daß Übervorteilung verbreitet ist, es eine Kultur und Industrie des Beschisses und der physischen Einschüchterung gibt, und man die Regeln kennen und die Zeichen lesen muß, um zu bestehen. Das Buch gehört direkt neben das Handbuch zum Unternehmer werden, es schützt vor dem Business-Gesülze, das immer mehr in jeden Lebenszusammenhang und jeden Diskurs eindringt.

Sanzos Erzählungen haben mir die Augen für die latente Gewalt eröffnet, denen auch meine Packer ausgesetzt sind. Ihr Stolz auf die eigene physische Präsenz ist real und notwendig und keine medial abgeleitete und ausagierte.

Die Gewalt, die Sanzo und meine Packer erfahren, entspringt aber nicht bloß Willkür, sondern auch behördlicher Ordnungsamacht, die als Willkür erfahren wird, weil sie ihre Logik, Legitimität und Geschichte nicht kennen. Das betrifft vor allem die Sozialabgaben und Steuern, die sie zahlen müssen, und die  Bußgelder, die bei Übertretungen fällig werden. Vor allem Sozialabgaben erfassen sie intuitiv und nicht zu unrecht als Mittel, ihre Arbeitsleistung auszubeuten: wird nicht gerade ihre Einwanderung mit dem Hinweis gerechtfertigt, daß sie die Sozialsysteme stützen sollen?

Attacken und Strafen werden gleichermaßen gesellschaftlich ausgrenzend und diskriminierend auf dem Arbeitsmarkt erfahren. Wie Sanzo können sie gar nicht anders, als ihren Aufstieg in der Illegalität beginnen zu lassen, weil die Ordnung des Arbeitsmarktes nicht für, sondern gegen sie gemacht ist. Und sie wissen, dieses Mal wird bleiben, vor und jenseits aller Integrationsbemühungen und -ansprüche. Ob Testarossafahren hilft? Dem Bauunternehmer kam der Bolide mit dem deutschen Kennzeichen bei einem Ausflug nach Italien abhanden ...

Sonntag, 14. März 2010

Joker & Jade

Von Kaiserslautern sind es noch siebzig Kilometer bis Saarbrücken. Jetzt fahre ich nur noch in die Stadt, in der ich ein paar Jahre gelebt habe, wenn ich Kunden besuche: selten. So weiß ich nicht, was jetzt aus der chinesischen Familie geworden ist, die damals in einer Wohnung in der Bleichstraße lebte. Die Eltern betrieben ein chinesisches Restaurant, und als es lief, holten sie ihre beiden Kinder aus China zu sich, die bis dahin bei den Großeltern aufgewachsen waren. Plötzlich saßen sie im Laden des freundlichen sefardischen Teppichhändlers im Erdgeschoß des Hauses, sprachlos und charmant.

Danach sah ich manchmal den kleinen Jungen, der auf einem Roller einsame Runden auf der Straße drehte. Das ältere Mädchen, das etwas Englisch konnte, mußte den Haushalt machen. Bald waren beide vormittags in der Schule. Vergeblich versuchte ich, die Eltern zu überreden, den Kindern einen Leihausweis für die Stadtbücherei zu besorgen.

Das Restaurant schien nicht schlecht zu laufen, trotzdem war es irgendwann geschlossen. Beim Teppichhändler saßen bald der Mann, bald die Frau, um sich übereinander zu beklagen: der Mann hatte die Einnahmen verspielt, die Frau, schön und energisch, hatte wohl versucht, sich auf eigene Rechnung zu prostituieren. Jedenfalls sah man sie plakativ zurechtgemacht im Viertel auf der Straße herumstehen.

Später ein Anruf aus dem Laden: was mit den Kindern jetzt geschehen solle? Sie waren alleine in der Wohnung, verängstigt und überfordert. Der Mann hatte seine Frau zusammengestochen, als er sie mit ihrem Liebhaber erwischte, und saß in Untersuchungshaft, die Frau lag im Krankenhaus. Die Kinder hatten die Behörden ohne weiteres Bedenken und Nachsehen dem Teppichhändler anvertraut. Aber das wurde ihm dann doch zuviel. Mit Hilfe des Jugendamtes wurden die beiden in einem Kinderheim untergebracht. Tags darauf rief mich ihr kurzzeitige Pate, außer sich vor Wut und Trauer, an und fürchtete das Schlimmste, Zurichtung, Fertigmachen! Sie waren aber gut in einer Wohngruppe aufgehoben. Ich besucht sie einige Male und schenkte dem Mädchen mein altes Notebook mit einem Programm zur Generierung chinesischer Schriftzeichen.

Als ich, inzwischen fortgezogen,  vier Jahre später zufällig den Teppichladen aufsuchte, wollte ich wissen, wie die Familiengeschichte weitergegangen war. Die Frau war zu Verwandten in die Niederlande gezogen und hatte die Kinder im Heim zurückgelassen. Der Mann war gerade frei gekommen und wohnte wieder in der Futterstraße. Noch im Gefängnis hatte er über die chinesische Handelszeitung, deren Lektüre ihm nach einigem Bedenken seitens der Anstaltslitung gestattet worden war, neue geschäftliche Kontakte geknüpft und war dabei, einen Laden zu eröffnen.

Jetzt, als ihn ihn fragen konnten,wollte ich doch wissen: Wie er in China zum Geschäftsmann geworden sei? Warum er überhaupt nach Deutschland gekommen sei und dort bleiben wolle, nach dem. was geschehen sei? In seiner Heimatstadt habe er einen Kleinhandel mit Metallwaren aufgebaut, als dies Mitte der achtziger Jahre möglich geworden sein. Die Geschäfte seien gut gelaufen. Da fingen städtische Beamte an, ihm Geld abzuverlangen. Gegenwehr sei nicht möglich gewesen: Polizei, Gerichte, Öffentlichkeit habe man nicht anrufen können, man habe ihn verhaften wollen, er sei entwischt und mit Hilfe von Verwandten nach Deutschland gelangt. Hier habe er die Strafe akzeptiert, bereue aber nicht, was er getan habe. Jetzt sei er zuvesichtlich, was den Neuanfang betreffe, zumal er finanzielle Unterstützung für die Existenzgründung erhielte. Er wollte die inzwischen herangewachsenen Kinder zu sich nehmen.

Das Mädchen wollte nicht: er sei nicht ihr Vater, und sicher auf der Suche nach einer Frau. Sie habe genug für diese Familie getan. Wer denn ihre eigene Familie sei? Ihre Eltern hätten seinerzeit beschlossen, daß sie in Europa bessere Chancen habe. Sie sei mit gefälschtem Paß, vier Jahre jünger gemacht, der anderen Familie gegen gutes Geld zum Mitnehmen untergeschoben worden. Über das Internet hat sie jetzt Kontakt zu ihrer eigene Familie und ihren alten Freundinnen. Sie will bis zum Abitur im Heim bleiben, weiterhin vier Jahre unter ihrem Alter in eine Nymphenhaftigkeit gesteckt, die sich anfühlt wie zu kleine Schuhe. Aber dann kann sie studieren. Ihre Identität kann sie aber unter der Gefahr, abgeschoben zu werden, nicht erneut wechseln.

Wenn ich in der Zeitung vom Aufstieg Chinas lese und vom Thema Menschenrechte versus Wirtschaftsmacht, muß ich an diese Familie denken.

Samstag, 13. März 2010

Grimms' Country

Die Gegend um Kaiserslautern, Landstuhl um Ramstein ist geprägt von ländlichen Ortschaften zwischen Wiesen und Wald, anheimelnd hügelig und irgendwie abgelegen. Obgleich durchaus vorhanden, ist von Industrie wenig zu spüren. Die vielen dunkelgrauen Flugzeuge ohne Gesellschaftsbemalung, niedrig und langsam im An- oder Abflug begriffen, und der großzügige Straßenausbau widersprechen der Abgelegenheit: breite neue Straßen in abgelegene Orte führen schnell zur A 6 oder A 63, und auf den Straßen fahren irritierend große und teure Autos und Busse, viele davon amerikanischer Bauart: in der Gegend leben Tausende von Amerikanern, Soldaten und Zivilangestellte der dortigen US-Stützpunkte von Heer und Airforce, dazu kommen Firmenangehörige von Unternehmen, die als Contractors für die Armee arbeiten. Die ländliche Infrastruktur ist diesen Bewohnern angepaßt: Restaurants, Autohäuser, Geschäfte bieten sich an, Wohnsiedlungen gleichen amerikanischen Suburbs. Kaiserlautern, K-Town genannt, oder Ramstein ähneln mit ihren Reklametafeln für cars oder fast food an den Durchgangsstraßen einer Kleinstadt des Mittleren Westens, und American English ist neben dem pfälzischen Dialekt die zweite Hauptsprache der Gegend.

Die Sprachgemeinschaft in der Diaspora ist hermetisch, es gibt vielleicht Anlässe, aber keinen Grund, sich den freundlichen Eingeborenen sprachlich zu nähern. Deshalb bitten die Kunden mich dahin: weil ich mich ihnen sprachlich assimilieren kann: "Do you speak English?" ist der erste Satz der Umzugsanfrage und das Ausschlußkriterium des dortigen Umzugsgeschäfts. Weit mehr als in manchen türkisch geprägten Straßen deutscher Städte existiert hier eine abgeschlossene Parallelwelt mit eigenen Schulen, Einkaufszentren, Medien, Clubs und teilweise eigenem Rechtsstatus. Die Abgelegenheit und das sprachliche Entgegenkommen der Eingeborenen verstärken diese Abgeschlossenheit. So entsteht bei den meist nur für ein paar Jahre Bleibenden leicht ein Deutschlandbild, das märchenhafte Züge annehmen kann: die Grimmschen Märchen, die auch amerikanische Kinder kennen, werden, verlinkt durch die Märchenhaftigkit der Landschaft, zum Fremdenführer, verstärkt um weitere Highlights einer imaginierten Topographie: Oktoberfest, Neuschwanstein, Christmas markets.  Die Deutsche Märchenstraße dagegen, die, bei Hanau beginnend und in Bremen endend, einen Blick auf hübsch konservierte Provinzaltertümer und vielleicht auf Ursprungsgegenden von nach Amerika Ausgewanderter erlauben würde, ist kein Bestandteil der dortigen roadmap.

Oft genug schlägt sich dafür der Märchenblick im Innern der Wohnung dieser hierher Versetzten nieder: als ein Durcheinander von Souvenirs, Flohmarktfunden und Bildern, das die vergebliche Anstrengung der Kunden dokumentiert, sich die Fremde und öfter auch vage Familienüberlieferungen anzueignen. Sie haben nicht gelernt, die Sprache zu lernen, sie haben kein Gespür für ästhetische oder handwerkliche Qualität und sie haben kein funktionierendes Konzept von Land und Leuten. Es gibt aber Ausnahmen: das Kind in einen deutschen Kindergarten zu schicken, selber Deutsch zu lernen, sich sogar auf das Pfälzische einzulassen. Sie sind selten.

Montag, 8. März 2010

Trinken. Geld.

Bis zum Tag des Umzugs ging es um dessen Planung und Preis. Mit den Packern gewinnt dessen Ökonomie: Leistung gegen Geld, eine neue Qualität. Fremde Männer nehmen den Haushalt und damit den dinglichen Rahmen des Lebensumfelds auseinander und schaffen ihn fort, damit er andernorts wieder zusammengesetzt werden kann. Darauf reagieren Kunden unterschiedlich sensibel. Sie verstehen schnell, daß der Prozeß und die Packer nicht unter ihrer Kontrolle stehen. Manche ahnen aber, der Prozeß könne unterschiedlich ablaufen, je nachdem, ob den Packern jener Respekt entgegengebracht wird, den sie verdient haben. Es liegt nämlich an ihnen, jedes einzelne Ding sorgfältig zu behandeln, einzupacken und zu verstauen, und nichts fortkommen zu lassen.

Dieser Respekt drückt sich mindestens so aus: es werden Getränke bereitgestellt. Packen ist schwere körperliche Arbeit, Flüssigkeit wichtig. Bisweilen gibt es auch Kaffe oder etwas zu essen: belegte Brötchen, fast food. Bisheriger Höhepunkt: das Ausführen in ein Asia-Restaurant! Respekt heißt auch, fragen, woher die Packer kommen, sich auf ein Gespräch einlassen, feststellen, daß es sich nicht um sprachlose Barbaren handelt. Und manchmal gibt es Trinkgeld. Bis zum Schluß arbeiten die Packer so, als ob sie es bekommen würden, Aber es ist nicht oft der Fall.

Das Rätsel: es gibt keine klaren Indizien dafür, wer etwas und wie viel gibt. Opulente Ausstattungen sind kein Anhaltspunkt.  Am ehesten geben jene, die selber einen Bezug zu körperlicher Arbeit haben. Die das nicht haben — Vermögen ohne Anstrengung oder Umzug von Arbeitgeber oder Amt bezahlt — stehen einfach nur daneben.

Samstag, 6. März 2010

Zum ersten, zum zweiten ...

Was kostet ein Umzug? Nachdem ein Wohnungswechsel feststeht und die neue Wohnung gefunden ist, steht diese Frage im Vordergrund. Sicher ist, es wird teuer, und das beste Resultat ist unsichtbar: kein Durcheinander, keine Schrammen, Sprünge, kein Verlust. Viel Arbeit, von der nichts bleiben wird. Die soll möglichst wenig kosten.

Deshalb holt ein Kunde sich mehrere Angebot ein. Und das ist erstmal sinnvoll, auch für die Umzugsunternehmen: je nach ihrer Struktur und Beschäftigungslage machen sie unterschiedliche Preise. Die Besichtigung und Beratung ist zunächst einmal kostenlos. Manch Kunden können gar nicht genug davon bekommen und holen sich gleich fünf oder sechs oder zehn Schätzer ins Haus ...

Nun ist es mit den Angeboten wie auf anderen Märkten auch: sie sind von unterschiedlicher Qualität. Welche Qualität vom Kunden gewünscht wird, muß der Berater erkennen; und dafür sorgen, daß diese Qualität geliefert wird. Jeder Umzug ist anders; Umzüge sind Einzelanfertigungen, oft für irgendwie mies zusammengeschustertes Umzugsgut aus dem Möbelbilli. Irgendwie müssen diese Beratungsleistungen dann auch eingepreist werden, zusammen mit vielen anderen Kosten, die nicht beim Umzug nicht so unmittelbar ersichtlich sind, wie es die Arbeit der Packer ist. Umzüge müssen also Geld kosten.

So wie es für Lebensmittel, Kleidung und Möbel Discounter gibt, gibt es auch Umzugsdiscounter. Da der größte Kostenanteil auch bei ihnen die Löhne sind, sparen diese Discounter hier konsequent. So machen dann Leute die Umzüge, die irgendwo von der Straße aufgelesen worden sind und wieder dahin befördert werden, ohne Rekurs auf soziale Kosten und Steuern. Aber am billigsten. Und die Mehrwertsteuer? Nicht selten wird steuerfreies Arbeiten vom Kunden zur zusätzlichen Bedingung für den Zuschlag gemacht.

Seit wenigen Jahren wandert ein wachsender Anteil des Umzugsmarkts ins Internet. Auf der einen Seite werden die Kunden dahin gebracht, einen Teil der Arbeit der Umzugsberater selber zu machen: das Volumen ihres Umzugs mittels Listeneinträgen zu schätzen und die gewünschten Serviceleistungen: Montage, Packen, sowie die wichtigen Randbedingungen eines Umzugs zu notieren: Trageweg, Parkmöglichkeiten für den LKW und anderes.

Auf der anderen Seite wird der Preis zum einzigen Kriterium, während die Qualität der Komplexitätsreduktion einer abstrakten Verauktionierung zum Opfer fällt. Kostenbewußte Kunden merken dann erst beim Umzug, daß die Möbel und die Wohnungen ihn nicht unbeschadet überstehen werden ... Dann richtet sich die Hoffnung auf die Versicherung und das Klagen. Da vorher der Abschluß einer adäquaten Transportversicherung aber aus Sparsamkeitsgründen unterblieb, mit wenig Aussicht auf Erfolg. Statt dessen wird das Umzugsentgelt nicht ausgezahlt, was wieder dazu führt, daß Umzugsunternehmen nur noch gegen Vorkasse arbeiten.

Dem Preisdruck begegnen Umzugsunternehmen, indem sie sich im Kleingedruckten ihres Angebots die Möglichkeit von Preiszuschlägen offenhalten, die sie dann konsequent nutzen, wenn sie den Zuschlag als Günstigster erhalten haben. Manche legen sich selber eine Billigabteilung zu oder gründen gleich aus, eröffnen selber oder mit Kollegen ein eigenes Portal und machen sich gegenseitig eine Konkurrenz, die ihnen nicht weh tut.

Auf diese Weise werden auch die Umzüge akquiriert, die von Arbeitsamt oder Jobcenter bezahlt werden. Der Antragsberechtigte muß drei Angebote vorlegen, die sich übers Internet leicht gewinnen lassen. Wird dazu von Ämtern ein Portal empfohlen, steckt oft ein Kartell dahinter, das ja durch die Verauktionierung gerade ausgehebelt werden sollte. Fragt aber ein solcher Berechtigter bei uns direkt an, steckt dahinter meistens das Kalkül, das Angebot als Vorlage für eines zu nehmen, das von Freunden mit Gewerbeschein und Steuernummer erstellt wird. Hier wie da kontrollieren die zu Sparsamkeit angehaltenen Ämter nicht, ob Sozial-, Versicherungskosten und Steuern gezahlt werden.  Damit untergraben sie ihren eigenen Anspruch und ihre eigene Bemühung, Leute in Arbeit zu bringen.

Zum ersten, zum zweiten, zum dritten ... bekommt der Kunde so wenig wie vordem mit Sicherheit das seinem Umzug angemessene Angebot.

Dienstag, 2. März 2010

Kiosk der Möglichkeiten

Nur erst gastweise in der Gegend, in der ich mich später niederlassen sollte, löste ich eine zeitlang morgens auf dem Weg zur Arbeit die Gutscheine für meine Tageszeitung an der Theke eines Kiosks. Nahe einer Bushaltestelle eingelassen in ein schmutzig gelb gestrichenes Geschäftshaus, unterschied sich dessen Angebot in nichts von dem anderer in deutschen Vorstädten: Tageszeitungen, Journale mit den einschlägigen Covern: Girls, Autos, Villen,  Computerzubehör, und außerdem Zigaretten, Bustickets, Süßigkeiten, Sprudel, Bier und Hochprozentiges.

Wie es meine Art ist, grüßte ich nach kurzer Zeit den Kioskverkäufer, einen älteren Mann unklarer Herkunftsnationalität, der früh, tags und bis spätabends allein da zu sein schien. Eines Tages winkte er mir, in den kleinen Verkaufsraum zu treten. Er fragte mich, ob ich die Zeitung für meinen Chef kaufte, was ich verneinte, ich läse sie selber. Ob ich gerne scharfe Sachen tränke? Ich schüttelte den Kopf. Es muß in die falsche Richtung gewesen sein, denn er schien es als Interesse zu deuten. Das Fragen hatte er zugleich genutzt, mich genauer zu betrachten. Dann raffte er seine Deutschkenntnisse zusammen für ein knappes, überraschendes Angebot: ich könne mich am Schnapsvorrat nach eigenem Ermessen bedienen, Gegenleistung: Sex. Seine eigene Frau sei ihm nicht mehr gut, und die Uschi, die es ihm bislang im Vorbeigehen dermaßen besorgt habe, verschwunden.

Dieses Angebot wies ich freundlich zurück, und um ihn nicht verlegen oder aggressiv zu machen, fragte ich zurück, woher er gekommen sei und wie er in diesen Kiosk käme. Er habe seine Geschäfte in der Gegend von Silopi betrieben, im Winkel zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak, meinte er, sei wohlhabend gewesen, als Landbesitzer und Händler. Aber während der kriegerischen Eskalation sei er zwischen die Fronten geraten, erpreßt und und bedroht worden, egal von wem, es sei ihm gelungen, mit seiner Familie nach Deutschland zu gelangen. Der Kiosk sei eine Fortsetzung seiner Geschäfte im Rahmen des ihm hier möglichen. Hart sei es aber schon, weil ihm die Familie nicht helfen wolle. Seine Söhne seien hier herangewachsen und hätten den Führerschein erworben, besäßen Handy, Auto und Computer, Geschenke von ihm.

Handy, Auto und Computer: was kommunizieren diese Söhne, um ihre Existenz zu sichern? Mit wem kommunizieren sie? In welchen Sprachen? Welche Werte konnten sie dadurch erzeugen, welche Dienstleistungen erbringen? Oder waren die Objekte bloße Symbole der Arriviertheit, Kaschierungen von Anschlußlosigkeit und Tageslohnverdienst? Welche Perspektive besaßen Vater und Söhne überhaupt auf ihre Umgebung jenseits des Blicks vom Kiosk auf die Bushaltestelle und im Kiosk auf grellbunte Zeitschriftencover? Welche Wahrnehmungs- und Umrechnungsmodi wurden angelegt, damit die Erträge von Land und Handel in Silopi den Geschäftsergebnissen aus dem Kiosk und aus dem, was die Söhne machten, innerhalb der Familie oder zumindest im Kopf des gestrandeten, lüsternen Patriarchen vergleichbar wurden? Welche Rolle spielten in dieser fragmentierten Ökonomie und Ökologie Frauen und Alkohol?

Es schien mir zudringlich, hier weiter zu fragen, obgleich mich die Familiengeschäfte zu interessieren begannen. Ich nickte ein Aufwiedersehen und ging. Meine Zeitung kaufte ich von da ab woanders. Inzwischen wird sie mir wieder ins Haus gebracht.

Sonntag, 21. Februar 2010

Brauchen Sie nicht unbedingt ... ?!

Kunden interessieren sich nicht für Umzugsunternehmen. Sie wollen erstmal eine Umzugsdienstleistung für möglichst wenig Geld. Ich muß mein Unternehmen finden lassen und den Interessenten dann erklären, welche Leistungen sie für ihr Geld bekommen, und was den Unterschied zwischen günstig und billig ausmacht.

Dort, wo Kunden mein Unternehmen finden sollen, finden mich auch Verkäufer. Zunächst Werbeverkäufer: Webseitenplatz, Auktionsportale, Registereinträge, Annoncen, Google-Plazierungen, Werbespots - alle versprechen jedem einen Bekanntheitsvorsprung, der im Wust des Bekanntgemachten untergeht, in den Weiten des Web und der Masse des Gedruckten verschwindet, zu Preisen, der einen reichlichen Anteil am Eingenommenen nimmt. Werbung muß ständig auf Wirksamkeit beobachtet werden.

Keine Werbung ist so effektiv, wie persönliche Empfehlungen es sind. Aber wenige Kunden ziehen immer wieder um (die nehmen uns übrigens auch immer gerne wieder). Die meisten nehmen es für selbstverständlich, dass alles reibungslos abläuft und heil bleibt.

Nicht nur Werbung soll ich kaufen.
Mehrmals im Monat werde ich von Zeitarbeitsfirmen angegangen, teils Ableger des Arbeitsamts oder sozialer Dienste, teils Firmen. Fast immer haben die Onkel oder Cousins der Packer die Erfahrung gemacht,  dort zu minimalen Löhnen angestellt zu werden, um die Arbeit zu machen, die sonst niemand machen will.
Fast wöchentlich ereicht mich ein Anruf, doch einen Wasserspender oder einen Kaffeeautomaten im Büro aufzustellen, Gewicht und Masse der mir zugesandten Kataloge für Büromaterial übertreffen leicht die Menge des tatsächlich gebrauchten.
Und fast täglich erreicht mich ein Anruf, ob ich nicht gebrauchte Firmenfahrzeuge zu verkaufen hätte. Der Markt mit ausgedienten LKW scheint eine Goldgrube zu sein, ausbeutbar ohne besondere Sprachkenntnisse, lästige Schriftlichkeit oder Sichtbarkeit. Jedesmal müssen die Anrufenden erst begreifen, dass eine Spedition keinen eigenen Fuhrpark haben muß.

Gemeinsam scheint allen diesen Verkäufern, daß sie außer einem Telefon und vielleicht einer Webseite keine weitere Infrastruktur unterhalten.

Ich überlege, umzusatteln.

Mittwoch, 17. Februar 2010

Laokoon von Tomi

Packer. Eine Gruppe junger Männer, fast alle aufgewachsenen in einer Provinzstadt nördlich vom Schwarzen Meer, irgendwie verwandt. Archetypen eines Trupps, wie er vermutlich seit Menschen leben in die Ferne zieht, Nomaden, Söldnerhaufen, Freischärler, auf der Suche nach Abenteuer, Reichtum, Frauen: der Ältere, erfahren und ein wenig müde, der Neugierige, der Techniker, der Kämpfer, die dienenden Fußleute, alle gescharrt um den Anführer, der sie zusammenhält und für sie plant und spricht. Ihre Schwestern, Cousinen und Tanten gehen auf getrennten Wegen in die gleiche Richtung, gelockt von Geld und Glitzer, studierend, putzend, kassierend, servierend, pflegend. Ihre Zuversicht schöpfen sie nicht bloß aus ihrer Kraft und Energie, sondern auch aus ihrer guten Schule: sie wollen studieren oder haben bereits ein Studium begonnen oder abgeschlossen, sie sind in einer Gesellschaft groß geworden, die sich im krassen Umbruch der Systeme befand.

Voller Selbstvertrauen kommen sie hier an, in eine Gegend, die alles, was sie suchen, im Überfluß zu bieten scheint. Kommen sie an das, was sie sich erträumt haben? Zunächst scheint alles einfach: sie tauschen ihre Muskelkraft in Geld und kaufen: Autos, Klamotten, Handys, Laptops. Sie verzieren ihre Muskeln mit Tattoos, die sie, Kouroi, gerne bei der Muskelarbeit zeigen, und alles zusammen beeindruckt die privatfernseh-affin gestylten Mädchen, die ihnen gefolgt sind oder zu ihnen stoßen. "Drama, Baby" steht auf dem T-Shirt unseres Monteurs und Kampfkarate-Champions.

Dann fangen die Probleme an, die sich nicht mit Muskelkraft, Witz oder Kosmetik beiseite schieben lassen, die sie allmählich begleiten, sich immer enger anschmiegen und sie demobilisieren und demotivieren. Ein Hauptproblem: das Geld reicht nie, Kredite sind leicht zu bekommen. Bald müssen Raten abgestottert, Schulden abgetragen werden. Das zweite Hauptproblem: das Recht an Geld und Leistungen ist in einem Wust von Regelungen verknäuelt, die schwer zu durchschauen sind: Aufenthaltsstatus, Arbeitsrecht, Versicherung, Steuern, Sozialleistungen — alles funktioniert mal wie eine undurchdringliche Barriere, mal wie ein Wunderhorn, verschieden in jedem Einzelfall, ohne klare Linie. Der Kampf gegen Schulden und Bürokratie ist kräftezehrend und entmutigend.

Ein klarer Weg, den hier Schule und Familie zeigen können, ist für die, die nicht in einem Schonraum wie der Hochschule Wissen und Erfahrungen sammeln können, sehr schwer zu erkennen und zu beschreiten. Das macht sie zu einer Verfügungsmasse an einem Arbeitsmarkt, der ihre Energie verbraucht und ihre Talente verschüttet.

Ich sehe meinen Trupp und denke an die Laokoon-Gruppe: Sinnbild männlich-kriegerischer Kraft, die von Schlangen besiegt wird. Seit Lessing Ausgangspunkt ästhetischer Reflexion, sollte sie endlich zum Logo der Arbeitsmigrationsdebatte werden.

Montag, 15. Februar 2010

Wanderungen im Odenwald

Der Odenwald war und ist Arme-Leute-Land, Auswandererland, wenn Land- und Waldwirtschaft oder Hausindustrie kein auskömmliches Leben boten. Die Intensivierung von Bodenbau und Forstwirtschaft, das Entstehen von Spezialindustrien, die verkehrsmäßige Anbindung an den städtischen Ballungsraum hat die Abwanderung gestoppt. Zugezogen sind heute Stadtbewohner, die sich eine alte Reite zum Ferienhaus umgebaut haben, und Einwanderer aus anderen armen Gegenden am Mittelmeer, die in den Industrien und im Gastgewerbe Verdienstmöglichkeiten gefunden haben.

Von hier ist eine Familie in eine argentinische Feriengegend am Rio Negro ausgewandert, der Heimat der Ehefrau, mit ihrem Hausrat und der Ausrüstung ihres Ristorante, das ihr italienischer Ehemann von seinem Onkel übernommen hatte. Vor über zwanzig Jahren war er als Eroberer gekommen, im weißen Geländewagen, zusammen mit seiner Braut aus zuvor erkundeten der Ferne. Die Wirtschaftskrise, die spärlicheren und sparsameren Kunden gab den letzten Anstoß, aber nicht den Ausschlag für das Fortgehen: das waren Regelwesen, wuchernde Vorschriften, Ordnungszwang und steigende Abgaben. Wie unter immer steigendem Arbeitsdruck das Auskommen sichern, sich um das Kerngeschäft der Gästebetreuung kümmern? Ohne Großmütter und Tanten die Kinder betreuen, eine Schule finden, die zu ihnen und der Lebenshaltung der Eltern paßte? Und außerdem, die herumlungernden türkischen Jugendlichen, welche die Speisenden auf der Außenterrasse störten ...

Beide wollen die Laisser-Faire-Haltung zurückgewinnen, die Leben schön macht, wenn sie von allen gepflegt wird. Was macht es dagegen, wenn der Bus zu spät kommt, ein wenig Schmiergeld gezahlt werden muß? Dafür sind die Steuern dauerhaft niedrig. Italienische Küche wird auch Argentinien gerne gegessen. Der Riesen-Umzug wird selbst organisiert, der abgewrackte Geländewagen mit eingeladen, die unbedingt notwendige Dienstleistung bar bezahlt ...

Die letzte Nachricht: " war alles gut wir musten ein bissien geld unten dem tisch an der zoll bezahlen aber mit ein bissien gedult funzioniert alles vielen danke. wir warten auf disch in patagonien".

Sonntag, 14. Februar 2010

Luftwurzeln

Fange ich an mit zwei Geschichten, die rückwärts laufen sollen, in entgegengesetzte Weltteile und in die gleiche Richtung: Heimat, und doch nur ins Fremde gehen und im Vergehen enden werden. Witwen, vor Jahren aus Südamerika hierher gekommen, zu einem deutschen Mann, der inzwischen gestorben ist, die Kinder fort. Wohin jetzt? Die erste flieht aus einem Job, der ihren Status nicht unterhielt, weil sie hier erst als Witwe ins Berufsleben eintrat, und kann von ihrer Rente das geerbte, aber noch nicht abbezahlte Reihenhaus nicht halten. Zurück nach Kolumbien also. Der Preis des Umzugs ist, dass sie ihr gesammeltes Gut nicht mitnehmen kann, nur, was ins Fluggepäck paßt. Von mir erwartet sie ein Angebot, das ihr diese Trennung von Schrank, Geschirr und Golfausrüstung erspart.

Während dessen kommt die zweite zurück: sie hatte ihr Gut im Container nach Lima mitgenommen, aber fand dort nach dreißig Jahren Abwesenheit keinen neuen Anfang: nichts mit den Freundinnen zu reden, selbst die Muttersprache fremd im Mund. Also wieder hierher mit einer großen Kiste, die Kartons zum Teil in Lima gar nicht ausgepackt. Hoffnung, Anschluß an ihr altes Leben zu finden. Aber wo sind die Freunde jetzt? Wie neue finden, wie eine Wohnung, mit schlechtem Deutsch und schlechtem Englisch? Es bleibt: die Kirche. Und es wächst bereits die Unzufriedenheit mit dem kargen Unterkommen, das sie angeboten hat. Hier muß es einfach besser werden!

Ich denke, ich sollte die beiden miteinander bekannt machen. Dann entscheide ich mich dagegen. Es würde bedeuten, Verantwortung dafür zu übernehmen, dass sie aneinander Halt finden. Wenn das nicht gelingt, werden sie ihn bei mir suchen. Transatlantisch leben kann aufregend sein. Transatlantisch altern heißt Nachleben ohne noch Wurzeln treiben zu können.

Ein PS: nach zwei Stürzen, Schulterbruch und Armbruch ist die Dame jetzt Pflegefall. Und die Rechnung für die Hafengebühren immer noch nicht beglichen.