(Umzugs-)Container nach schwerer See

(Umzugs-)Container nach schwerer See
Quelle: Internet. Der Blog hat keinen Bezug zum Schiffsnamen oder zu dessen Ladung

Dienstag, 13. April 2010

Eine Personalität

Um Kartons abzuliefern, hatte mich ein Kunde in die Tiefgarage des Condominiums einfahren lassen, aus dessen 2. Stock er ausziehen wollte. Als ich herausfahren wollte, stellte ich fest, daß ein Rollgitter die Ausfahrt blockierte, zu dessen Öffnung  ein Schlüssel notwendig war.

Gerade, als ich den Kunden anrufen wollte, kam ein älteres Paar aus dem Appartmentkomplex in die Garage. Ich erklärte, warum ich in der Garage stand, und bat, mir das Gatter zu öffnen. Der Mann reagierte aufgebracht: wer mich hineingelassen habe? Der solle mich auch wieder heraus lassen. Ich signalisierte Verständnis für sein Sicherheitsbedenken und nannte nochmals den Namen des Kunden als Bewohner. Aber die Weigerung des Mannes gründete nicht auf der Intrusion ins Haus, sondern auf einem Angriff auf seine Würde: er fühlte sich durch meine Bitte beleidigt, quasi zum Domestiken degradiert! Er sei eine Personalität! Dies festgestellt, öffnete er dann doch das Tor.

Sein Ausfall signalisierte eine gewisse sprachliche Unsicherheit, die Maquillage der Dame bestärkte meine Vermutung, daß es sich um einen Perser handeln müsse, einen, der schon lange hier lebte und sich das Ambiente leisten konnte.
War ihm entgangen, daß Hilfsbereitschaft hierzulande kein Statusverlust bedeutete, sondern Verständigung über ein Gemeinwesen? Oder war eben diese Auffassung Ausfluß meiner Naivität? Ich entschuldigte mich höflichkeitshalber, allerdings ohne Bezug auf irgend etwas näher Bestimmtes, und er bestand dann noch darauf, dass ich mich in der Tat entschuldigen müsse, während ich hinausfuhr.

Und plötzlich an Herodot dachte.  Und an einem Haufen ziemlich zerstrittener Griechenfürsten und ihrer bunten Haufen, die 480 vor Christus in einer kritischen Situation einander beistanden und die Invasion der Streitmacht des persischen Großkönigs, einer Streitmacht aus versklavten Untertanen, durch List und Mut vor Salamis zum Scheitern brachten: die Geburt Europas, die Entdeckung der Macht von Demokratie.

Hätte ich mein Kurzschwert zücken sollen? Oder wenigstens meinen akademischen Titel? Ich hätte mich natürlich zuerst fragen müssen, wie ein solcher Griechenfürst mit kartonaustragenden Weibern verfahren wäre. Ich dachte stattdessen an meine Großmutter, die aus einer Familie mit Hofrang stammte: jemand, der seine Bedeutsamkeit ohne Grund herausstreicht, unterstreicht damit seine Unwichtigkeit. Etikette und Sinn für Verhältnimäßigkeit sind, was meine Großmutter so allerdings nie unterschrieben hätte, eben Bedingung für das Funktionieren von Demokratie. Bunte Haufen sind es aber auch. Hätte ich einen der Packer dabei gehabt, einen aus der Gegend, wo seinerzeit die Perser gehaust htten, hätten wir ein bißchen Freiheitskrieg inszenieren können. Auch das hätte mir gefallen.

Erheitert durch diese luftigen Denkfäden übersah ich, fahrend, beinahe zwei junge Mädchen, die eben den Zebrastreifen überqueren wollten, der die Straßenseite mit den Türkenläden mit der Innenstadt verbindet: in der schon üblichen Kopftuchtracht die eine, die andere von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, Hände in Handschuhen, das Gesicht komplett von schwarzer Gaze verhüllt.

Ein P.S.: Vor ein paar Tagen sah ich die Personalität in der Fußgängerzone spazieren, in einem tadellosen grauen Mantel und mit einem blechernen Abzeichen über der Brust, welches einem Orden glich. Chapeau!