(Umzugs-)Container nach schwerer See

(Umzugs-)Container nach schwerer See
Quelle: Internet. Der Blog hat keinen Bezug zum Schiffsnamen oder zu dessen Ladung

Dienstag, 2. März 2010

Kiosk der Möglichkeiten

Nur erst gastweise in der Gegend, in der ich mich später niederlassen sollte, löste ich eine zeitlang morgens auf dem Weg zur Arbeit die Gutscheine für meine Tageszeitung an der Theke eines Kiosks. Nahe einer Bushaltestelle eingelassen in ein schmutzig gelb gestrichenes Geschäftshaus, unterschied sich dessen Angebot in nichts von dem anderer in deutschen Vorstädten: Tageszeitungen, Journale mit den einschlägigen Covern: Girls, Autos, Villen,  Computerzubehör, und außerdem Zigaretten, Bustickets, Süßigkeiten, Sprudel, Bier und Hochprozentiges.

Wie es meine Art ist, grüßte ich nach kurzer Zeit den Kioskverkäufer, einen älteren Mann unklarer Herkunftsnationalität, der früh, tags und bis spätabends allein da zu sein schien. Eines Tages winkte er mir, in den kleinen Verkaufsraum zu treten. Er fragte mich, ob ich die Zeitung für meinen Chef kaufte, was ich verneinte, ich läse sie selber. Ob ich gerne scharfe Sachen tränke? Ich schüttelte den Kopf. Es muß in die falsche Richtung gewesen sein, denn er schien es als Interesse zu deuten. Das Fragen hatte er zugleich genutzt, mich genauer zu betrachten. Dann raffte er seine Deutschkenntnisse zusammen für ein knappes, überraschendes Angebot: ich könne mich am Schnapsvorrat nach eigenem Ermessen bedienen, Gegenleistung: Sex. Seine eigene Frau sei ihm nicht mehr gut, und die Uschi, die es ihm bislang im Vorbeigehen dermaßen besorgt habe, verschwunden.

Dieses Angebot wies ich freundlich zurück, und um ihn nicht verlegen oder aggressiv zu machen, fragte ich zurück, woher er gekommen sei und wie er in diesen Kiosk käme. Er habe seine Geschäfte in der Gegend von Silopi betrieben, im Winkel zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak, meinte er, sei wohlhabend gewesen, als Landbesitzer und Händler. Aber während der kriegerischen Eskalation sei er zwischen die Fronten geraten, erpreßt und und bedroht worden, egal von wem, es sei ihm gelungen, mit seiner Familie nach Deutschland zu gelangen. Der Kiosk sei eine Fortsetzung seiner Geschäfte im Rahmen des ihm hier möglichen. Hart sei es aber schon, weil ihm die Familie nicht helfen wolle. Seine Söhne seien hier herangewachsen und hätten den Führerschein erworben, besäßen Handy, Auto und Computer, Geschenke von ihm.

Handy, Auto und Computer: was kommunizieren diese Söhne, um ihre Existenz zu sichern? Mit wem kommunizieren sie? In welchen Sprachen? Welche Werte konnten sie dadurch erzeugen, welche Dienstleistungen erbringen? Oder waren die Objekte bloße Symbole der Arriviertheit, Kaschierungen von Anschlußlosigkeit und Tageslohnverdienst? Welche Perspektive besaßen Vater und Söhne überhaupt auf ihre Umgebung jenseits des Blicks vom Kiosk auf die Bushaltestelle und im Kiosk auf grellbunte Zeitschriftencover? Welche Wahrnehmungs- und Umrechnungsmodi wurden angelegt, damit die Erträge von Land und Handel in Silopi den Geschäftsergebnissen aus dem Kiosk und aus dem, was die Söhne machten, innerhalb der Familie oder zumindest im Kopf des gestrandeten, lüsternen Patriarchen vergleichbar wurden? Welche Rolle spielten in dieser fragmentierten Ökonomie und Ökologie Frauen und Alkohol?

Es schien mir zudringlich, hier weiter zu fragen, obgleich mich die Familiengeschäfte zu interessieren begannen. Ich nickte ein Aufwiedersehen und ging. Meine Zeitung kaufte ich von da ab woanders. Inzwischen wird sie mir wieder ins Haus gebracht.

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