(Umzugs-)Container nach schwerer See

(Umzugs-)Container nach schwerer See
Quelle: Internet. Der Blog hat keinen Bezug zum Schiffsnamen oder zu dessen Ladung

Samstag, 13. März 2010

Grimms' Country

Die Gegend um Kaiserslautern, Landstuhl um Ramstein ist geprägt von ländlichen Ortschaften zwischen Wiesen und Wald, anheimelnd hügelig und irgendwie abgelegen. Obgleich durchaus vorhanden, ist von Industrie wenig zu spüren. Die vielen dunkelgrauen Flugzeuge ohne Gesellschaftsbemalung, niedrig und langsam im An- oder Abflug begriffen, und der großzügige Straßenausbau widersprechen der Abgelegenheit: breite neue Straßen in abgelegene Orte führen schnell zur A 6 oder A 63, und auf den Straßen fahren irritierend große und teure Autos und Busse, viele davon amerikanischer Bauart: in der Gegend leben Tausende von Amerikanern, Soldaten und Zivilangestellte der dortigen US-Stützpunkte von Heer und Airforce, dazu kommen Firmenangehörige von Unternehmen, die als Contractors für die Armee arbeiten. Die ländliche Infrastruktur ist diesen Bewohnern angepaßt: Restaurants, Autohäuser, Geschäfte bieten sich an, Wohnsiedlungen gleichen amerikanischen Suburbs. Kaiserlautern, K-Town genannt, oder Ramstein ähneln mit ihren Reklametafeln für cars oder fast food an den Durchgangsstraßen einer Kleinstadt des Mittleren Westens, und American English ist neben dem pfälzischen Dialekt die zweite Hauptsprache der Gegend.

Die Sprachgemeinschaft in der Diaspora ist hermetisch, es gibt vielleicht Anlässe, aber keinen Grund, sich den freundlichen Eingeborenen sprachlich zu nähern. Deshalb bitten die Kunden mich dahin: weil ich mich ihnen sprachlich assimilieren kann: "Do you speak English?" ist der erste Satz der Umzugsanfrage und das Ausschlußkriterium des dortigen Umzugsgeschäfts. Weit mehr als in manchen türkisch geprägten Straßen deutscher Städte existiert hier eine abgeschlossene Parallelwelt mit eigenen Schulen, Einkaufszentren, Medien, Clubs und teilweise eigenem Rechtsstatus. Die Abgelegenheit und das sprachliche Entgegenkommen der Eingeborenen verstärken diese Abgeschlossenheit. So entsteht bei den meist nur für ein paar Jahre Bleibenden leicht ein Deutschlandbild, das märchenhafte Züge annehmen kann: die Grimmschen Märchen, die auch amerikanische Kinder kennen, werden, verlinkt durch die Märchenhaftigkit der Landschaft, zum Fremdenführer, verstärkt um weitere Highlights einer imaginierten Topographie: Oktoberfest, Neuschwanstein, Christmas markets.  Die Deutsche Märchenstraße dagegen, die, bei Hanau beginnend und in Bremen endend, einen Blick auf hübsch konservierte Provinzaltertümer und vielleicht auf Ursprungsgegenden von nach Amerika Ausgewanderter erlauben würde, ist kein Bestandteil der dortigen roadmap.

Oft genug schlägt sich dafür der Märchenblick im Innern der Wohnung dieser hierher Versetzten nieder: als ein Durcheinander von Souvenirs, Flohmarktfunden und Bildern, das die vergebliche Anstrengung der Kunden dokumentiert, sich die Fremde und öfter auch vage Familienüberlieferungen anzueignen. Sie haben nicht gelernt, die Sprache zu lernen, sie haben kein Gespür für ästhetische oder handwerkliche Qualität und sie haben kein funktionierendes Konzept von Land und Leuten. Es gibt aber Ausnahmen: das Kind in einen deutschen Kindergarten zu schicken, selber Deutsch zu lernen, sich sogar auf das Pfälzische einzulassen. Sie sind selten.

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